Predigt am 5. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C)

von Pastoralreferentin Caroline Witte

Gott kommt in die Unruhen der Zeiten. Auch in unsere Zeit mit ihren extremen Meinungsverschiedenheiten, mit dem Schrecken über neu offengetretene Lügen kirchlicher Akteure.

Gott ist da. Er macht sich in all diesen Krisenzeiten damals vor, während und kurz nach Christus wie auch heute weit nach Christus erfahrbar. Er kommt mit einem Auftrag an uns Menschen. Ebenfalls damals wie heute. Dieser Auftrag lautet: Wir sollen seine Botschaft weitergeben. Wesentlich gehört dazu, das zu leben, was im Evangelium steht.

Dazu wiederum gehört, das kirchliche Leben so zu gestalten, dass Menschen sich hier sicher aufgehoben fühlen und ihren Glauben gern zusammen leben.

In den Texten von heute ist von menschlichen Schwächen die Rede. Solche Schwächen hat jede und jeder und damit inklusive braucht uns Gott.

Das aber, was mir seit 12 Jahren und akut wieder in diesen Wochen in den Sinn kommt, wenn ich an Unvollkommenheit in der Kirche denke, das sind keine Schwächen, das sind Verbrechen. Die Missbrauchsfälle gehören in traurigem Ausmaß zu Straftaten seitens einzelner Glieder der Kirche. Der Auftrag der Kirche ist hier, diese Verbrechen zu verfolgen. Den Opfern muss zugehört und geholfen werden. Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden und zwar zusammen mit der staatlichen Justiz. Und dann sind diese Menschen aus dem kirchlichen Dienst auszuschließen. Da hilft keine bloße Versetzung. Solche Taten müssen mit aller Kraft vermieden werden. Und wir sind als Gesamtkirche gefragt, die Strukturen so zu verändern, dass Schutzbefohlene in der Kirche so sicher wie nur möglich sind.

Was die aktuellsten Meldungen angeht, möchte ich mich Bischof Georg Bätzing, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, anschließen. Er forderte am Montag in der ARD vom emeritierten Papst Benedikt, dass er eingesteht, dass er gelogen hat und dass er sich durch seine Falschaussage schuldig gemacht hat.

Tröstlich finde ich bei all dem Schlammassel, dass Gott unsere Wege mitgeht und dass er an seiner Botschaft festhält. Er macht sich vom Anfang der Menschheitsgeschichte an als ein Gott erfahrbar, der da ist. Schon vor Jesus Christus: Wir haben in den Sonntagsgottesdiensten von Jesajas Berufung gehört. Die politische Situation damals war denkbar chaotisch, es gab viel soziale Unsicherheit. Mitten in dieser Lage zeigt Gott, dass die Erde voll von ihm ist. Seraphim singen die Worte, die wir bis heute in der Messe singen: „Heilig heilig heilig ist der Herr der Heerscharen. Erfüllt ist die ganze Erde von seiner Herrlichkeit.“ Ein wunderbarer Text gerade in Zeiten, in denen ich mich allein oder unsicher fühle. Gerade in diesem Moment des Sanctus kann ich sicher sein: Gott umgibt mich und uns mit seiner wunderbaren, unbegreiflichen Gegenwart. Jesaja erschrickt zunächst so dastehend vor Gott, wie er ist. Aber Gott befreit ihn von seiner Schuld und beauftragt ihn sogar zum Propheten.

Im Evangelium geht es um eine Berufung zurzeit Jesu. Jesus beauftragt Simon Petrus und seine Fischermannschaft, weiter zu fischen. Simon Petrus zweifelt den Sinn an, weil er es dank seiner Berufserfahrung eigentlich besser weiß. Aber er hört auf Jesus. Und tatsächlich: Die Fischer fangen mehr Fische, als sie die Netze halten können. Petrus merkt, in welch unperfektem Zustand er dem vollkommenen Gott begegnet ist, ihm, der es vermag, eigentlich Unmögliches möglich zu machen. Jesus macht Mut und sagt sogar zu, jetzt sogar Menschen zu fangen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich zucke bei dieser Übersetzung bis heute zusammen. Dem griechischen Urtext nach kann man das „Fangen“ so verstehen, dass die Fischer den Menschen neues Leben schenken sollen. Der Weg ist, Gottes Botschaft anzunehmen. Die Fischer sollen die Menschen taufen, womit ein neues Leben beginnt. Also auch hier: Gott beauftragt Unvollkommene. Sie sollen seine Botschaft weitersagen.

Und wie war es mit Paulus, nach Jesu Tod? Auch Paulus sieht sich als unwürdig, Jesus zu begegnen. Er bezeichnet sich als Missgeburt. Schon allein das Wort ist eine Predigt wert. Ist doch niemand auf der Welt für Gott eine Missgeburt, und ich kann für mich sagen und bestimmt auch für viele andere, dass auch mir jede Geburt, jeder Mensch willkommen ist. Denn Gott weiß mit jeder und jedem etwas anzufangen – die Makel, die jeder hat, inbegriffen. Auch mit Paulus: Jesus macht gerade diesen ehemaligen Jesusverfolger zu einem seiner wichtigsten Boten. Paulus hat sich zum Glauben an Jesus Christus bekehrt. Damit sind ihm seine Sünden vergeben und er ist dann wohl würdig, das Evangelium zu verkünden, die vielen Briefe an die Gemeinden zu schreiben, im Namen Gottes, im Namen Jesu auf Missionsreisen zu gehen.

Die Kirchengeschichte nahm ihren Lauf und bis heute merken wir schmerzlich: Die Kirche und jede und jeder Einzelne ist fehlerhaft. Die menschliche Unvollkommenheit kann sich in weniger fatalen Schwächen äußern wie in Bezug auf mich wohl meine Meinung, dass es möglichst nach meiner Nase zu gehen hat. Gleichzeitig will ich es allen recht machen. Das Ergebnis ist oft ein innerer Unfriede und dann auch äußerer Streit. Das ist nicht schön und für meine Umwelt manches Mal anstrengend. Aber auch damit weiß Gott wohl was anzufangen. Jeder baut Mist und dann gilt es, ihn irgendwann abzuhaken, sich ggf. zu versöhnen und weiterzumachen. 

Die fatalere Seite der Unvollkommenheit ist, wenn sich menschliches Versagen in Übergriffen äußert, wie zigfach durch kirchliche Vertreter geschehen. Oder im Versuch, diese Verbrechen zu verstecken oder kleinzureden. Hier ist entschiedene Umkehr gefragt – eine Verzeihungsbitte bei den Opfern und Hilfen, offene Ohren für sie – echte Konsequenzen für die Täter – Veränderung der Machtstrukturen, die die Verbrechen begünstigen. Solch eine Umkehr ist oft alles andere als einfach. Auch Paulus spricht davon, wie sehr er sich abgemüht hat. Ich möchte ihn nicht mit den Missbrauchstätern gleichsetzen, aber mit allen sündigen Menschen. Umkehr ist nicht einfach – aber mit Gottes Gnade machbar. Auch für die Kirche ist der Wandel nicht einfach, im Hören auf Gott aber machbar. Darauf sollten wir alle Energie verwenden.

Denn der Auftrag der Kirche und ihre Botschaft bleiben: Die Botschaft ist: Jesus ist für unsere Sünden gestorben und er ist auferstanden. Wenn wir daran glauben, werden auch wir gerettet. Glaube heißt dann: Leben nach dem Evangelium, d.h. den anderen Gutes wollen und die Kirche so verändern, dass Menschen auch heute zum Glauben finden und diesen Glauben in der Kirche leben mögen. Das passiert auch an so unzähligen Stellen, nur dass diese Kirchenmitglieder es kaum bis in die Schlagzeilen schaffen. Da ist hier vor Ort die Silvia Kessler (ehem. Schwarze), die sich als Präventionsfachkraft unermüdlich für den Schutz unserer Kinder und Jugendlichen vor Missbrauch in der Kirche einsetzt. Da sind die vielen, die Gottes Liebe auf ihre je eigene Weise erfahrbar machen, an Krankenbetten, in der Caritasarbeit. Überall, wo kirchliche Organisationen Flüchtlinge vor dem Tod retten. Wo Menschen einander einfach zuhören und füreinander da sind.

Kirche ist noch so viel mehr, als es in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Unter diesem Motto hat der Pfarreirat vergangenen Donnerstag zur Gemeindeversammlung eingeladen. Wir haben uns ausgetauscht. Einerseits konnte jeder aussprechen, wie er die neuesten Nachrichten aufnimmt. Andererseits haben wir gemeinsam überlegt, was wir hier vor Ort tun können, damit sich etwas ändert. Und auch, inwiefern wir Einfluss nehmen können auch auf den größeren Kreis unserer Kirche, über unsere Kirchtürme hinaus. Im Nachgang ermutigt mich dazu die dritte Vollversammlung des Reformprozesses Synodaler Weg. Bischöfe und Laien sind dort gemeinsam auf dem Weg, Machtstrukturen zu verändern bzw. abzuschaffen.

Mir machen diese Entwicklungen Mut. Denn: Der Auftrag der Kirche bleibt und die Kirche schafft es an so vielen Stellen auch, ihren Auftrag in etwa so auszuführen, wie er wohl von Jesus Christus gedacht war und ist. Und gleichzeitig und nochmal: Das Wissen um all das Gute und das Wissen um unsere Unvollkommenheit und um das von Gott getragen Sein bedeutet nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen können. Sondern wir müssen den Missbrauchsopfern – man kann auch von Überlebenden sprechen – weiter oder endlich Mut machen. Wir müssen weiter für Aufklärung sorgen und weiter am Schutzkonzept arbeiten. Nur so können wir die Verbrechen verhindern bzw. ihnen vorbeugen. Das ist dann gelebter Glaube, zu dem wir in aller Unvollkommenheit von Gott gesendet sind.

Entsprechend möchte ich dazu einladen, uns den Fischern von damals weiterhin anzuschließen. Die wussten um ihre Unvollkommenheit. Gleichzeitig waren sie sich sicher, von Gott getragen zu sein und ein neues Leben geschenkt bekommen zu haben. In diesem Bewusstsein haben sie beschlossen, Jesus nachzufolgen, mit ihm zusammen zu bleiben und rund um ihn eine Gemeinschaft aufzubauen. Und diese 2000 Jahre alte Gemeinschaft ist meine und vielleicht ja auch Ihre und eure Kirche.