Predigt von Sr. Lydia zum Fest der Menschenfischer

Lesen Sie hier die Predigt von Schwester Lydia zum "Fest der Menschenfischer" nach.

 

Liebe Gemeinde,
Ihr Pfarrer, lieber Peter, du wünschtest Dir ein Fest der Menschenfischer, an dem die Vielfalt der Berufungen sichtbar und die Freude an der Nachfolge Jesu spürbar werde. Nun, ich werde mein Bestes tun, dazu beizutragen. Sie, liebe Gemeinde, haben also eine Benediktinerin vor sich. Mein Name ist Sr. Lydia und ich lebe in der Abtei St. Scholastika in Dinklage, ca. 70 Kilometer nördlich von hier. Benediktinerinnen predigen selten, beten viel und sind in der Regel sehr daran interessiert, Raum zu schaffen für Gott, Raum für die Begegnung von Gott und Menschen, und meistens einen stillen Raum. 


Damit sind wir schon mitten im Evangelium. Ich habe mir vorgestellt, dass wir hier auf der Freilichtbühne den Sturm auf dem See vermutlich gut darstellen könnten. Das Pfeifen des Windes, die hohen Wellen, das Klatschen des Wassers an der Bootswand, das bedrohliche Schaukeln des Fischerbootes und schließlich die überschwappenden Wogen, die das Boot mit Wasser füllen. Eine abenteuerliche Situation – oder vielmehr eine bedrohliche Situation? weil sie unübersichtlich ist, die Richtung nicht mehr klar ist und keiner mehr weiß, was jetzt noch hilft? Die Jünger und vielleicht ja auch Jüngerinnen im Boot jedenfalls sind mehr als beunruhigt… Jesus liegt da auf einem Kissen und schläft. Lassen wir ihn erstmal dort. 


Wenn ich an unsere gemeinsame katholische Kirche denke, dann ist dieses Boot auf der stürmischen See ein ganz passendes Bild. Die gesellschaftlichen Veränderungen, die wir erleben, sind enorm: die Individualisierung, die Digitalisierung in jedes Wohnzimmer hinein, die starken Migrationsbewegungen über Kontinente hinweg, die vielen neuen Konstellationen, in denen Menschen als Familie zusammenleben, dagegen ein Wiedererstarken politischer Extreme und gleichzeitig ganz breite Jugendbewegungen wie Fridays for Future, der Umgang mit Corona und nicht zuletzt die Krisen um sexuellem Missbauch, Machtmissbrauch, Diskriminierung und vieles mehr. Alte Ordnungen werden aufgelöst, abgelöst oder auch mal auf den Kopf gestellt. Da ist heute ziemlich viel in Bewegung und der Wind bläst uns von verschiedenen Seiten ins Gesicht. 


Ja, und wir? Wir haben natürlich auch ganz unterschiedliche Ideen dazu, wie diesen Stürmen zu begegnen ist. Die einen meinen „früher war alles besser – die Tradition – die Frömmigkeit – wir müssen uns nur bekehren und vor allem festhalten“. Andere würden am liebsten alles über Bord werfen, was nicht niet- und nagelfest ist. Für sie heißt sich bekehren vielmehr loslassen, um so befreit vom alten Ballast neue Lebenschancen zu ergreifen. Viele, vielleicht allzu viele, haben längst aufgegeben und sich in ihr Schicksal gefügt. Andere rufen: rette sich, wer kann! Manche fangen Rangeleien untereinander an. Wir Jüngerinnen und Jünger in der Kirche sind uns oft nicht sehr einig in unserem schwankenden Boot. 


Jetzt muss ich mich fast entschuldigen. Denn: Können wir so ein Fest der Menschenfischer feiern? Das klingt doch alles sehr deprimierend. Und es wäre auch deprimierend, wenn wir nicht den noch mit im Boot hätten, der – wie es im Evangelium heißt – „hinten im Boot auf einem Kissen“ liegt und schläft. Ja, er schläft wirklich seelenruhig. 


Daher möchte ich mit Ihnen nun noch einen Schlenker ins Johannesevangelium machen. Sie kennen alle die Erzählung von der Fußwaschung, die darin einmündet, dass Jesus sagt: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ (Joh 13,34-35). Ja, das glaube ich zutiefst, dass diese Liebe das Überzeugendste ist, das wir als Christen leben und anbieten können. Es ist aber, verflixt nochmal, nicht immer so leicht. Schon gar nicht, wenn man mit all diesen sogenannten Mitchristen in diesem schwankenden Boot sitzt. Daher bleiben wir noch etwas im Johannesevangelium. 


Denn im Folgenden tritt Petrus heroisch hervor und beteuert, Jesus auf keinen Fall allein lassen zu wollen und jeden Weg mit ihm zu gehen, auch unter Einsatz seines Lebens. Doch Jesus erwidert: „Du willst für mich dein Leben hingeben? Amen, amen, das sage ich dir: Noch bevor der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ (Joh 13,38) Wie bitter ist das! Denn Sie wissen es alle: Petrus hat ihn wirklich verleugnet und bittere Tränen geweint. Seine Liebe kam so schnell an eine Grenze, es hatte keine 24 Stunden gedauert… Doch direkt an diese Ankündigung, dass Petrus ihn dreimal verleugnen würde, fügt Jesus die Sätze an: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ (Joh 14,1) Jesus weiß um die Grenzen unserer Liebe, er weiß um unsere Ängste und Widerstände, um das Durcheinander und die Verwirrung, die manchmal herrschen. Doch er zeigt uns auch den Weg: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ 


Wann immer ich das höre, kehrt in meinem Herzen Stille ein. Es ist eine friedliche Stille, die die Schwierigkeiten nicht leugnet, aber die Gewissheit schenkt, dass der Weg weitergeht und dass ich vertrauen darf. Kennen Sie diese Stille? Sie tritt auch mitten im Sturm auf dem See ein. Denn als die Jünger Jesus weckten: „Da stand er auf [das hat was mit Auferstehung zu tun], drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich, und es trat völlige Stille ein.“ (Mk 4,39). Mitten in der Unruhe und Gefahr, im Durcheinander und der Unsicherheit gibt es diesen Raum des Friedens und der Stille. Die Jünger erleben: in Jesus lebt Gott. Sie spüren hautnah, dass sie fest und sicher mit ihm verbunden sind, mit ihm, der die ganze Welt in seinen Händen hält. Das ist die Botschaft auch für uns heute. In dieses Netzwerk zwischen Gott und Schöpfung sind wir kraft der Taufe mit eingeknüpft – als Töchter und Söhne Gottes. Darin liegt unsere Lebenskraft und unser Friede – auch und gerade in stürmischen Zeiten. 


Das gilt auch für Sie Sr. Marcellis, Patrick Sumner, Norbert Brockmann, Eugen Chrost und Peter Kossen. Ich bin mir sicher, dass es an Stürmen auch in Ihrem Leben nicht mangelt. Doch dass Sie sich nicht verwirren lassen, dass Sie mit Vertrauen, Tapferkeit und wohl auch mit viel Freude und Humor Jesus nachfolgen, das zeigen Sie uns nicht nur heute zu diesem Fest der Menschenfischer. Dankbar für Ihr und Euer Sein, Ihren Einsatz, Ihre Verbundenheit, Ihr Zeugnis für Jesus Christus sind wir heute zusammen. Die Buntheit der Berufungen macht uns vielseitig, stark und froh. 


Nun muss ich zum Schluss aber noch etwas zum Begriff Menschenfischer sagen: Ihr Pfarrer, Peter Kossen, brachte vor einigen Jahren sein schönes Fischernetz mit zu einem Gottesdienst in unsere Kirche. Und er fragte mich vorher, ob ich mich für die Predigt als Anschauungsobjekt zur Verfügung stellen würde. Er wollte zur Veranschaulichung das Netz über mich werfen. Ich habe nicht verstanden, wofür das gut sein sollte und die Vorstellung in einem Netz gefangen zu werden, war mir unangenehm genug, dass ich ohne nachzufragen ablehnte. Nun weiß ich nicht, wie er hier seine Netze so auswirft. Ich kann nur sagen: wehren Sie sich, wenn es Ihnen zu eng wird! Doch – und davon gehe ich aus – wenn das Netz dazu geknüpft wird, Gemeinschaft aufzubauen, füreinander einzustehen, einander aufzuhelfen und gelegentlich mitzuziehen, im Kontakt zu sein und sich mit Gott und den Menschen zu verknüpfen, dann kann dieses Netz nicht groß genug sein. Hier bei Ihnen in Lengerich, Ladbergen, Lienen, Tecklenburg, Kattenvenne, Leeden und Ledde gibt es dieses Netz. Mit Jesus Christus in unserer Mitte lassen Sie uns heute miteinander feiern. 

Amen.