Unsere Kirche ist aus der Form geraten

Predigt am 3. Sonntag im Jahreskreis Lesejahr C, zu 1 Kor 12, 12-31a von Pater Hans-Michael Hürter

„Was sagst du denn zu dieser Sache mit dem Papst, und den Berichten aus München?“ Diese Frage wurde mir in den letzten Tagen mehrmals und nicht nur von der Zeitung gestellt. Ich fühle dazu Sprachlosigkeit, Frustration und auch Wut.Und ich analysiere hier, wie auch in anderen kirchlichen Zusammenhängen, ob im Großen oder im Kleinen: Systemisches Versagen, Systemische Lücken, Systemische Fehler. Es ist für mich zu einfach nur Schuldige zu benennen, obwohl es die ja zweifelsohne gibt.

Und ich schäme mich, weil ich ja auch Teil dieser Kirche bin. Und da bildet diese Lesung, aus dem Brief des Apostels an die Gemeinde in Korinth vielleicht eine Grundlage. Dem folgernd kann ich das Bild aus der heutigen Lesung vom Leib und den vielen Gliedern, die eine Einheit bilden, gut nachvollziehen. Jedes einzelne Glied des Körpers trägt dazu bei, dass der Körper als Einheit funktioniert. Ist eines davon beeinträchtigt, dann leidet der ganze Körper. 
Übertragen auf unsere Menschheitsgemeinschaft und auch auf unsere Kirchengemeinschaft bedeutet das:

Wir sind, nicht nur aufgrund der Enthüllungen in München und anderswo in einer ziemlichen Schieflage. (um es mal sehr diplomatisch zu formulieren)

Denn unweigerlich muss ich beim Bild vom Leib mit den vielen Gliedern auch an eine Verfasstheit der Institution Kirche und an eine Kirchenstruktur denken. In vielen Veränderungsprozessen der einzelnen Bistümer, beim synodalen Weg auf Bundesebene und demnächst bei der Bischofssynode auf Weltebene wird um die Einheit in der Kirche gerungen. Es ist nicht so leicht wie bei einem Puzzle, wo jemand die Form vorgedacht hat und die einzelnen Teile nur noch so zusammengesetzt werden müssen, dass wieder das vorgeformte Bild entsteht.

Unsere Kirche ist aus der Form geraten, und es funktioniertnicht mehr, dass einzelne Mächtige vordenken und vorformen und alle anderen sich in diesem Rahmen bewegen.

Eine Einheit der Kirche kann nur noch von unten wieder wachsen. Das klingt nach einer oft gehörten Floskel – aber es erscheint mir als der einzige Weg. Es muss eine breite Basis geben, auf der wieder etwas aufgebaut werden kann. Diese Basis bilden einzelne Menschen, die wichtig genommen und gesehen werden möchten. Und da ist es mir wichtig an den inneren Haltungen und damit am Verhalten zu arbeiten.: Es geht um eine aktive und intensiv gelebte Beteiligungskirche. Nicht: ich habe da eine Idee und suche mir dazu Verbündete, sondern, eine aktive Beteiligung aller, damit sie sich mit einbringen können, konstruktive Kritik üben sollen und dürfen, und es geht von Anfang an um eine Leitung im Team.

Dazu sind wir als Getaufte und Gefirmte befähigt und brauchen nicht das „OK“ das Herrn Pastors, oder des Bischofs. Unsere Aufgabe als noch -hauptamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger- ist die intensive Förderung und Ermöglichung einer solchen Beteiligungskirche. Das ist mehr als Basisdemokratie, und auch wesentlich mehr, als unsere jetzigen synodalen Gremien wie Pfarreirat und Kirchenvorstand bislang leben. Das ist eine sehr lange Reise, und wir sind da erst am Anfang.

Lokale Kirchenentwicklung im Hier und Jetzt wird ohne diese Partizipation nicht funktionieren. Und Kirche wird am Ende sein, wenn sie die Chance einer Beteilungskirche nicht grundsätzlich lebt und weiterentwickelt. 
Der und die Einzelne kann mit dazu beitragen, dass dies gelingt und vielleicht eine Einheit der Kirche neu gebildet werden kann. Dazu muss jeder Einzelne und jede Einzelne auch davon überzeugt sein und einen persönlichen Mehrwert darin erkennen können, am Neuaufbau der Kirche mitzuwirken.

Da hilft es nicht weiter, wenn sich wenige anmaßen, zu entscheiden, wer dazugehören darf und wer nicht oder welche Ideen die richtigen sind und welche nicht. Strukturen und Entscheidungen müssen sich am einzelnen Menschen orientieren – eben an dem einzelnen Glied, ohne das der Leib als Ganzer nicht alltagstauglich ist.

Kirchenentwicklung ist aber nicht das Produkt einer Organisationsentwicklung (diese ist sicherlich eine gute Hilfestellung). Sondern Kirchenentwicklung ist erst einmal ein zutiefst geistlicher Prozess, bei dem wir gemeinsam auf Gottes Wort hören. (Siehe das Beispiel des Bibelteilens in Tecklenburg) 

Entsprechend vielfältig werden dann auch die Formen sein, in denen Kirche zum Ausdruck kommen wird. Deshalb sollten wir alle den Kopf hochhalten, uns einbringen, uns gegenseitig in die Augen sehen und uns gegenseitig zuhören. So kann eine neue Kirche werden, ein neues WIR, das sich aus vielen wichtigen Teilen zusammensetzt. 

(Inspiriert nach Gedanken und Texten von Sabine Kock, sowie Christian Hennecke und Gabriele Viecens)

Hans-Michael Hürter