Sommerkirche in St. Michael

St. Michael am Morgen des 16. Juli 2017 kurz vor Beginn des Gottesdienstes.

Pfarrer Witthake begrüßt die Gottesdienstbesucher.

Diakon H.M. Lagemann hält die Predigt.

Hosentaschengebet

Die Sommerkirchen-Serie 2017 wurde in St. Michael Tecklenburg begonnen. „Liebster Jesu, wir sind hier, dich und dein Wort anzuhören,“ nach diesem Eingangslied begrüßte Pfarrer Günter Witthake etwa 80 Besucher in ökumenischem Sinne. So waren auch das Thema des Gottesdienstes und die Predigt ökumenisch geprägt, die trotz aller Unterschiede in Tecklenburg besonders intensiv gelebt wird. Das Glaubenszeugnis von Hans Martin Lagemann, der über 30 Jahre in den Ledder Werkstätten wirkte und auch heute noch in der Arche tätig ist, öffnete dann auch die Herzen der Zuhörer mit dem Bibelwort, das der kranke Apostel Paulus nach dreimaligem Flehen um Heilung, von Gott hörte: „Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ (2. Kor 12, 9) In dieser Gottesoffenbarung strahlt das ganze Evangelium auf: Lahme und Blinde, Schwache und die am Rande stehenden Menschen, wird Gottes Macht zugesprochen.

Diakon Lagemann wird konkret und spricht über Schicksale von Menschen, die er kennt und die sehr wahrscheinlich auch viele der Zuhörer kennen. Die Rede ist von Christoph, der in den Ledder Werkstätten arbeitete und viel zu schnell verstorben ist. Die Familie schrieb in der Todesanzeige: Er hat unser Leben veredelt.

Oder die junge Frau, die auf dem Weg zur Schule von einem LKW überfahren wurde und schwerste Verletzungen davontrug. „Als eine Abiturientenklasse aus Mettingen in unsere Werkstätten kam, bitte ich diese junge Frau, ihren Lebensweg zu beschreiben. Sie nennt viele Operationen, die ihren körperlichen Zustand verbessern sollten. Trotzdem muss sie für immer im Rollstuhl sitzen. Sie kann nicht so schlafen wie wir, weil ihr Schlafzentrum beschädigt ist. Aber sie schreibt Kurzgeschichten und malt Pferdebilder. Und dann ihr Schlusssatz: „Eigentlich bin ich Gott dankbar, dass ich behindert bin, denn dadurch bin ich ihm näher!“

Zwei unterschiedliche Personen, die trotz körperlicher Schwäche andere Menschen zum Nachdenken gebracht haben. Nicht durch viele Worte, sondern durch die Art und Weise, wie sie ihre Behinderung angenommen haben.

Ein Musterbeispiel ist Christian. Bei seiner Geburt war das Gehirn zu lange mit Sauerstoff unterversorgt. Die Folge ist eine totale spastische Lähmung und ein Leben im Rollstuhl. „Seine strahlenden Augen werde ich nie vergessen, obwohl er gefüttert werden muss und umfassende Versorgung mit intensiver Betreuung nötig ist. Als ich ihn fragte wie es ihm geht, antwortete er: „Mir geht es gut!“

Das ist doch gelebte Gnade, die Paulus uns zuspricht und die uns von Menschen vorgelebt wird, die wir oft als Behinderte abstempeln.“

 

Herr Lagemann führt noch einige andere Beispiele auf und hält die Aufmerksamkeit der Zuhörer weiter aufrecht. So sind Zitate von Bodelschwingh und Luther zu hören und letztlich seine eigene Hoffnung, dass das reformatorische Spektakel am 17. September 2017 auf der Tecklenburger Freilichtbühne ein Auftakt wird, wo wir gemeinsam nachdenken, was uns eint und nicht, was uns trennt.

Herr Lagemann schloss mit einem Lutherzitat: Die Kirche braucht eine Reformation. Sie ist aber nicht die Angelegenheit nur des Papstes, noch der Kardinäle. Es ist eine Angelegenheit der ganzen Christenheit. Danach sprach er das Gebet der Gemeinschaft Chemin-Neuf:

“ Herr Jesus Christus,

du hast gebetet, dass alle eins seien.

Wir bitten dich um die Einheit der Christen,

so, wie du sie willst,

und auf die Art und Weise, wie du sie willst.

Dein Geist schenke uns, den Schmerz der Trennung zu erleiden,

unsere Schuld zu erkennen, und über jede Hoffnung hinaus zu hoffen.

Amen ”

 

Die Gemeinde spendete spontan Applaus, was sonst nicht üblich ist. Pfarrer Witthake klagte mit einem Augenzwinkern: „Ich bin jetzt über 40 Jahre Priester, aber Applaus gab es noch bei keiner Predigt.“ Er dankte Hans Martin Lagemann für sein überzeugendes Glaubenszeugnis und überreichte ihm ein Buch mit dem Titel „Fundsache Luther“ und wünschte eine spannende Lektüre.

Zusammen feierten die Besucher die Eucharistie und sprachen gemeinsam, Hand in Hand, das Vater unser. Der Friedensgruß fehlte nicht und durch den Kirchenraum zog ein fröhliches Raunen.

Pfarrer Witthake entließ die Gemeinde mit dem Schlusssegen und dem Hinweis, dass auch diejenigen zum anschließenden Buffet eingeladen wären, die nichts mitgebracht haben. Das nahmen die Besucher (glaube ich) aufatmend zur Kenntnis.

Am Ausgang hielten die Bewohner der Arche noch eine kleine gestrickte Socke bereit. Sie sind Hosentaschengebete mit der Botschaft: Vollende dein Volk in der Liebe.

Danke für diesen schönen Gottesdienst und das anschließende reichhaltige Buffet.

Heino Paulisch